Telefon-Hass und Telefon-Phobie durch meine Gehörlosigkeit

Telefon-Hass:
Ich hasste das Telefon, weil das Telefon den Hörenden die Macht gab, mit Menschen in Kontakt zu kommen, sich am Telefon auszutauschen und sich zu verabreden.

Ich als Gehörlose brauchte immer einen Vermittler, wenn ich jemanden telefonisch etwas ausrichten wollte. Da fühlte ich mich meiner Privatsphäre ausgeraubt. Ich musste immer sagen, dass ich diese Person anrufen will und was ich dieser Person ausrichten will.

Da wurde mir immer wieder gesagt: ich rufe später an… Ich schäumte vor Wut… vor Wut auf meine Gehörlosigkeit, vor Wut auf meine Unfähigkeit zwecks spontaner Kontaktaufnahme, vor Wut auf meine Hilflosigkeit.

Es war komisch, nein, satirisch/ironisch: Bitte ich meine Eltern, dass für mich angerufen werden soll, wird genau der Telefonanruf nicht getätigt, meine Bitte für den Anruf wird schlicht vergessen!

Wenn dann für mich angerufen wurde und nicht genau das gesagt wurde, was ich ausrichten wollte und mir nicht alles gedolmetscht wurde und der Vermittler/Dolmetscher stattdessen mit seinen eigenen Worten meine Botschaft übermittelte, schäumte ich vor Wut.

Meine Eltern weigerten sich, für mich anzurufen, weil ich immer zornig wurde. Meine Eltern sagten, wenn ich Termine ausmachen will oder mich verabreden will, soll ich eben die Wege nutzen, die ich nutzen kann, also Briefe/Faxe schreiben (damals hatte aber nicht jeder ein Faxgerät) oder direkt hinfahren. (Ich bin in dieser Sache meinen Eltern jedoch sehr dankbar, denn dadurch wurde ich sehr selbstständig und bewahrte mir meine Privatsphäre, auch wenn ich dafür vieles in Kauf nehmen musste.)

Wie bequem haben es die Hörenden, die einfach so per Telefon Termin beim Arzt, Therapeuten, bei den Behörden und so weiter ausmachen können.

Ich als Gehörlose hasste den Telefonerfinder für diese Ungerechtigkeit, die das Telefon für Gehörlose aufwarf! Und überhaupt ist das Telefon ein Fluch für die Gehörlosen – denn mit dem Telefon begannen auch die Barrieren. Mit dem Telefon begann das Zeitalter der audioellen Anlagen und damit wuchsen auch die audioellen Barrieren für Gehörlose! Durch das Telefon wurden die Informationen zum großen Teil auf audioelle Weise weitergegeben. Radio, Fernsehen, Lautsprecheranlagen… wo bleiben da die Gehörlosen??

Wenn ich beim Arzt einen Termin ausmachen wollte, musste ich hingehen, um einen Termin auszumachen und dann beim Termin wieder hingehen. Ich musste sogar eine Stunde fahren, nur um einen Termin auszumachen, weil der betreffende Arzt kein Faxgerät hatte. All die Strapazen und der Zeitaufwand…

Hinzu kommt die Telefon-Phobie – ich habe Angst, zum Telefon zu greifen. Ins Leere reden – ich komme mir vor, ich würde Selbstgespräche führen. Überhaupt nicht behaglich! Ich brauche einfach Blickkontakt, ohne Blickkontakt bin ich stumm und so bin ich auch am Telefon.

Wenn ich zum Telefon greife, dann nur, wenn die Telefonmuschel das Mundbild des Gesprächspartners anzeigt und nachspricht! 😉 Das wäre der beste Vermittler, ohne Eingriff in die Privatsphäre des Gehörlosen!

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4 Kommentare

  1. Ich bin hörend und hasse das Telefon trotzdem. Ich kann’s nicht leiden wenn ich jemandem nicht in die Augen schauen kann, wenn ich mit ihm rede. Meistens versteh ich nie was der am anderen Ende meint, nicht weil ich schlecht hör, sondern weil ich immer alles falsch interpretier und dann blamier ich mich nur. Es ist zwar bei manchen Leuten schön mal wieder ihre Stimme zu hören, aber man sollte einfach dazu noch ein Bild haben (so wie per Webcam). Dann sieht man auch gleich wer dran ist und muss nicht raten, wenn Leute sich nur mit „Ja“ melden.

  2. Liebe Tina,
    das ist ja voll interessant, dass du als Hörende das Telefon trotzdem hasst. Ich habe schon von einigen Hörenden gehört, die sich richtig davor scheuen, den Telefonhörer überhaupt abzunehmen bzw. die Leute anzurufen.

    Als Gehörlose sehe ich dauernd Hörende am Handy „kleben“ und vergesse dann, dass es auch Hörende gibt, die dieses Medium meiden bzw. nur abnehmen, wenn sie wissen, wen sie am Hörer haben.

    Danke für den interessanten Kommentar! 🙂

  3. Hi Du liebe unbekannte (oder habe ich Deinen Namen überlesen?). Ich habe gelernt alles zu nehmen wie es ist, mich so wenig wie möglich aufzuregen – denn JEDER MENSCH hat seine Probleme – ob Gehörlos oder hörend. Jeder Mensch meint nur, die seinige Probleme seien die grössten. Ich verstehe Deinen Frust, aber betrachte doch einmal die andere Seite – denn es gibt auch eine positive – so blöd wie Du meine Aussage jetzt auch halten magst. Aber:
    Du musst Dir nicht stundenlang sinnloses geschwafel anhören von Leuten, die sich Dir AUFDRÄNGEN wollen, der Lärm in einer Großstadt geht an Dir vorüber, die meist asozialen Texte von Musikern, die Dich „ankreischen“, mit obszönen Worten belullen, die Waschmaschine der Nachbarin die Nachts um 2 Uhr läuft, das ständige Kläffen eines Chihua aus der Wohnung neben Dir – usw.. Ja, Du hast eine Situation, die Dich nervt, aber die hättest Du auch als hörende – nur eben irgendetwas anderes!!!!
    Das HAUPT-Problem derzeit ist die fehlende Unterstützung Deiner Eltern!
    Sehe es bitte ganz einfach relaxt, Dir wurde ein Leben geschenkt – es ist nicht Minderwertig oder abwertend zu sehen, weil Du Gehörlos bist. Mit Sicherheit hast Du auch diese Wundervolle Gabe, anderen Menschen mit RESPEKT zu begegnen, Menschen in die Augen zu sehen, Dich auf die Person zu konzentrieren – auch wenn es bei hörenden, die die Gebärdensprache nicht beherrschen sehr anstrengend sein kann. Ich beneide jeden Gehörlosen für diese Fähigkeit, die leider die wenigsten hörenden zustande bekommen.
    Ich habe meine Emailadresse angegeben, und würde mich freuen wenn Du meine Worte RICHTIG verstanden hast, und Dich bei mir meldest.
    Ganz liebe Grüsse:
    Tammy

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