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GehörlosenGehörlose können nicht sprechen

(Update: 07.11.2018 – Dieser Artikel wurde erstmals am 01.01.2012 veröffentlicht)

Diesen Satz muss ich mir ab und zu mal von den Hörenden gefallen lassen. Und wisst Ihr was: Die Hörenden haben mit ihrer eigenen Wahrnehmungsweise damit sogar Recht.

Wenn sie mit ihren Ohren eine Stimme hören, die für sie sich eher nach einem Kauderwelsch anhören, und sie kein zusammenhängendes Wort heraus verstehen können, dann sagen sie:

Der Gehörlose kann nicht sprechen.

Gut, soweit alles klar.

Jedoch: Wir Gehörlose, die sprechen können, haben genauso gut recht, wenn wir sagen: Ich bin ein Gehörloser und kann sprechen.

Gehörlosbloggerin Judith Harter beim Sprechen(Bild: Die gehörlose Bloggerin Judith Harter beim Sprechen – dem Film „Radio untertitelt nicht“ entnommen)

Es liegt an der Unwissenheit und Ungewohntheit der Hörenden, wenn sie uns Gehörlose sprechen hören, uns nicht auf Anhieb verstehen und uns dann als „Gehörlose können nicht sprechen“ abstempeln!

Wir Gehörlose können unsere eigene Stimme nicht gut kontrollieren und wissen manchmal nicht, wie welches Wort richtig ausgesprochen wird, weil uns eben diese feine sprachliche Informationen durch das Hören fehlen.

Unsere gehörlose Stimmen sind zu 95 % monoton klingend, da fehlt die Sprachmelodie oftmals und immer mal wieder eine falsche Aussprache bestimmter Wörter. Auch unsere Schwäche beim Sprechen einzelner Buchstaben/Konsonanten spielt eine große Rolle, weil wir sie nicht von den Lippen sehen können: S, H, Z, C, CH, V, W, F, P, B und das L / N.

Unterm Strich sage ich Euch allen:

Die Hörenden haben aus unserer Sicht nicht recht mit ihrer Aussage: Gehörlose können nicht sprechen. Diese Hörende sind nämlich unwissend, und sobald jemand abseits der gewohnten Sprachnorm spricht, schalten sie sich innerlich ab und suchen einen anderen bequemeren Ausweg (sie wenden sich an den Begleiter/Freund/Verwandten des Gehörlosen) – oder hören weg, weil ihnen die Stimme unschön klingt. Auch jagen ihnen diese gehörlose Stimmen sogar Angst ein. TROTZ ALLEDEM:

Natürlich können Gehörlose sprechen!

Ich arbeite in meinem Beruf im Unternehmen mit über 200 Mitarbeitern. Da gibt es diese oder jene Kollegen, die buchstäblich Angst davor haben, mit mir ins Gespräch zu kommen (hmmm, habe ich denn als Gehörlose soviel Macht, ihnen Angst einzujagen? Nur eine kleine, zierliche Frau wie ich weiß mit ihrer Stimme den Leuten Angst einzujagen? *grins*). Scherz beiseite – ich ärgere mich immer mal wieder über diese Leutchen, denn ich sehe ihnen so bildlich an, dass sie, sobald sie mich sprechen hören, innerlich sofort abschalten und ausweichen – diese sind total verunsichert und nicht offen für Fremdartiges in ihrem Leben. Da „höre“ ich sogar den „Schalter in deren Köpfen stark klicken“!

Und in den Medien wird dieser Satz auch immer mal wieder gesagt, wie ich das kürzlich am Beispiel an Julia Probst gesehen habe (über ihren Twitter-Erfolg beim Nachtmagazin im ARD). Das ist eine TYPISCHE Haltung der Hörenden, die die Stimmen der Gehörlosen nicht gewöhnt sind.

Sie ist nicht die Einzige damit. Erinnert sich so mancher von euch an einen Filmbeitrag über Natalie Girth, die gehörlose erfolgreiche Architektin, die sich implantieren ließ? Ihre Stimme wurde hier komplett synchronisiert, damit im Fernsehen alles perfekt klingt – und das hinterließ so eine Art Klischee. Gleichzeitig verhinderte man bei Hörenden die Erfahrung mit gehörlosen Stimmen.

Das fand ich absolut gar nicht fair gegenüber ihr und uns sprechenden Gehörlosen.

Bei den Hörenden gibt es ja auch selbst Menschen, die gar nicht sprechen können.  Die Nuschelnden, da behaupte ich als Gehörlose genauso gut: Dieser Hörender kann nicht sprechen. Und davon kenne ich echt eine Menge – Hörende Menschen, die nuscheln, können nicht sprechen.

Oder noch besser: Hörende, die ihren Mund beim Sprechen kaum aufmachen können, können auch nicht sprechen aus der Sicht der Gehörlosen. Damit haben wir Gehörlose mit unserer Wahrnehmungsweise und Perspektive genauso Recht wie Hörende, die meinen, dass Gehörlose nicht sprechen können.

Viele Hörende können sich gar nicht vorstellen, wie viele Sprech-Übungen wir Gehörlose machen müssen, um unsere Stimme versteh-tauglich zu formen! Immer und immer wieder! Ohne eigene optimale „Hör-Kontrolle“!

Wir müssen uns quasi die Aussprache auswendig merken für jedes einzelnes Wort.

Tagtäglich! Lebenslang!

Wir bekommen nichts geschenkt, sondern müssen uns das alles antrainieren.

Wenn die Gesellschaft gar nicht die Möglichkeit hat, sich selbst die gehörlosen (typischen, sprich, monoton und oft nicht vorhandener Sprachmelodie) Stimmen anzuhören. Wie kann man da die Barrieren abbauen?

Hört gut in die Menschen hinein, hört mit offener Seele zu und akzeptiert die Andersartigkeit der Menschen!

Da wir Gehörlose verstanden werden wollen, bitten wir auch, uns zu korrigieren, wenn wir ein Wort falsch aussprechen oder betonen. Wir unsererseits zeigen den Hörenden auf, dass sie ein besseres Mundbild machen und mit unserer Hilfe die Welt mit den Augen betrachten. (danke @jen für die Aufmerksamkeit!)

Die Gehörlosblog-Redaktion

Judith Harter

TEile weiter

  • @jen, danke dir sehr für die Aufmerksamkeit – ich habe es nachträglich eingebunden im Artikel!

    Und ein super Neujahrsgruß dazu 🙂
    Judith

  • Ich möchte etwas ergänzen… „…wir unsererseits zeigen den Hörenden auf, dass sie ein besseres Mundbild machen und mit unserer Hilfe die Welt mit den Augen betrachten.

    Danke fürs Beitrag, Judith. 🙂

  • Hallo,
    auch wenn dieser Beitrag schon eine Weile zurück liegt, möchte ich ihn kommentieren.
    Ich bin ein hörendes Mädchen und habe durch Zufall diesen Beitrag beim Surfen im Internet gefunden. Ich glaube, wenn Hörende sagen, dass Gehörlose nicht sprechen können, meinen viele das nur, weil sie denken, dass sie das ja nie gelernt haben und es deswegen nicht können. Manche sagen ja auch „taubstumm“. Sie wollen nicht gemein sein, aber sie wissen es einfach nicht besser. Ich weiß es, deswegen sage ich auch zu anderen, wenn sie so etwas erwähnen, dass es anders ist (also dass es z.B. gehörlos heißt, dass manche sprechen können, dass man nicht „stumm“ sagen kann weil Gebärdensprache ja auch eine Sprache ist usw.) Sie wissen es dann und achten beim nächsten mal darauf. 🙂
    Ich jedenfalls finde, dass es von euch Gehörlosen eine ganz tolle Leistung ist, so aufwändig sprechen zu lernen, obwohl ihr euch nicht hören könnt.

    Grüße!

  • Ich erlaube mir auch, einen Kommentar zu schreiben, obwohl der Beitrag länger zurückliegt.
    Mir hat der gesunde Menschenverstand schon immer gesagt, daß gehörlose Menschen gesunde Stimmbänder haben und das Sprechen nicht unmöglich sein kann. Heute geht man zunehmend dazu über, gehörlosen Kindern von Geburt an die Lautsprache zu gewöhnen, was auch wichtig ist. Ich halte es aber für einen Fehler, gehörlose Kinder sogar ohne Gebärdensprache aufwachsen lassen zu wollen, weil es ihnen das Leben unnötig schwieriger macht. Wer regelmäßig als Hörender mit gehörlosen Menschen zu tun hat, der soll gefälligst die Gebärdensprache lernen, um die gegenseitige Verständigung so einfach wie möglich zu machen.

  • @Alexander Dietz

    Danke für den Kommentar und deinen gesunden Menschensverstand 🙂

    Herzlichst
    die Gehörlosbloggerin Judith

  • Bei näherem Nachdenken ist es bei hörenden Kindern ein Wunder, wie sie die Laute ihrer Eltern nur durch Abhören nachahmen. Warum sollte es nicht möglich sein, daß gehörlose Kinder das Sprechen durch Absehen und Abfühlen lernen? Die Ursache für gehörlose Menschen mit kaum Sprechfähigkeit ist darin zu suchen, daß wegen Klischees ihnen das Sprechen nicht von Geburt an vermittelt worden ist. Es gibt Beispiele von gehörlosen Menschen, welche genügend Sprachförderung erhalten haben, welche nah an die Fähigkeiten des Sprechens und Verstehens von hörenden Mitbürgern herankommen. Trotzdem bleibt es dabei, daß die Gebärdensprache Menschen, die regelmäßig mit gehörlosen Menschen Umgang haben und gehörlosen Menschen selbst den Umgang miteinander doch sehr vereinfacht. Lippenlesen ist bei längeren Gesprächen doch sehr anstrengend. Genauso unbestreitbar ist es, wenn gehörlose Menschen in der hörenden Umwelt auch die Lautsprache einsetzen können.
    Wenn es z. B. um spontane Gefühle und Eindrücke geht, dürfte ein gesprochener Satz bei hörenden Freunden, Bekannten oder Partnern besser ankommen als eine Gebärde.

  • Ich wollte sagen: Es ist von großem Vorteil, wenn gehörlose Menschen in einer hörenden Umwelt…

  • Hören ist eine Kunst, die ich nicht habe, für mich, ich habe die Stille, mit Hören Menschen ist sehr Schwer für mich, Spreche nicht viel,, die Augen sind meine Ohren für immer.

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